Sujet 2012: Martha us der Webergass

Die Frau, die Huren nass macht

Martha Ramseyers (87) spritziger Kampf gegen die Prostitution. Von der Dachterrasse ihres Hauses begoss sie Freier und Sex-Workerinnen, bis die Polizei und die Hausverwaltung einschritten.

Marta

Die rüstige Martha Ramseyer auf der Dachterrasse, von wo aus sie Freier und Prostituierte bespritzte. Sie tat das weil niemand sonst etwas tat.
Bild: Margrit Müller



Martha kennt da gar nichts. Martha. Nicht Frau Ramseyer. Da ist auch nicht mehr Herr Bahnerth, sondern Michi. Martha nimmt immer den direktesten aller Wege. Und keine Blätter vor den Mund. Die Jungs von ihrer Hausverwaltung nennt sie unverblümt «Arschlöcher». Ihr Lieblingspolitiker ist Blocher: «Weil er das Maul aufmacht.» Eine halbe Stunde zuvor hat sie noch gesagt: «Hör bloss auf mit Politik, Michi. Damit hab ich gar nichts am Hut. Politik ist eine Hure. Hat mir mein Vater damals mit auf den Weg gegeben.»

Martha ist 87, das, was man wohl eine rüstige Rentnerin nennt, und nach sieben Jahren im Rotlicht-Kleinbasel schon ein Original und eine kleine Berühmtheit auch. Hat einen Fanclub, weil sie sich, bewaffnet nur mit einem Gartenschlauch, gegen eine Handvoll Huren und deren Gefolge vor ihrem Hauseingang gewehrt hat. «Seniorin macht die Huren nass», stand in den Zeitungen, «Martha for president» und «Super-Martha» in den Kommentaren. Man nennt sie auch Lady Gaga Nummer 2. Weil sie tut, was sie will, und weil sie manchmal in selbst genähten Charleston-Kostümen anzutreffen ist, samt Federboa, und weil es ihr egal ist, was andere über sie denken.

Sie wohnt in der Alterssiedlung Ecke Ochsengasse und Webergasse, 5. Stock, hat einen «Hausfreund», aber darüber will sie nichts sagen, fast nichts jedenfalls, sie sagt nur, dass er jünger sei. Wie bei allen älteren Damen ist ihre Wohnung ein Sammelsurium an Erinnerungen. Drei Zimmer, ungefähr 130 Fotos, ein Fernsehsessel und überall dieser süsslich-abgestandene Duft des Alters, der einen an Grossmütter erinnert. Sie kommt gerade vom Arzt. Irgendein Check. Martha ist auf Blutverdünner. «Weisst Du, was ich dem Arzt gesagt habe? Dass ich gesund bin, weil ich 30 Jahre nicht beim Arzt war. Und dass ich nicht mehr komme, weil ich gesund bleiben möchte.»

Martha mag Busreisen

Von ihrem Balkon aus sieht sie ein bisschen Rhein. Wasser ist wichtig für Martha. Die glücklichste Zeit ihres Lebens war, als sie zusammen mit ihrem Mann 25 Jahre lang Bademeisterin in Arlesheim war. Schöne Erinnerungen hat sie an Jugoslawien, als sie und ihr Mann FKK-Urlaub machten, und ihr Leben mit ihrem Mann hört auf, zwei Wochen bevor sie mit einem neuen Wohnwagen für länger ans Nordkap fahren wollen. Die beiden lebten damals in einem Wohnwagen in Zurzach. Ihr Mann ging Velo fahren und kam nicht mehr nach Hause. «Ist einfach vom Rad gekippt. Dabei war er Sportler, Sattler und Tapezierer und erst 64 Jahre alt.» Martha war 54 damals, 1978. Sie kam zurück nach Basel.

Um Martha in ihrer süssen Exzentrik zu verstehen, hilft diese Geschichte. Martha mag Busreisen. War sogar, aber das ist nicht die eigentliche Geschichte, schon in Faenza nahe Ravenna, wo der einstige Formel-1-Rennstall Minardi zu Hause war, eine sympathische Truppe, die alles hatte ausser ein schnelles Auto, «Und, Michi, stell dir vor: Da haben wir eine Runde auf der Testrennstrecke gedreht. Mit dem Bus! Wir ganz allein!»

Vor ein paar Sonntagen nun war sie mit dem Bus in Heidelberg, es gab Mittagessen und danach spielten fünf Santigläuse Schubidubidu-Jazz. Wer noch konnte, wippte mit, aber Martha stand auf und tanzte: «Ganz alleine. Nein, das macht mir nichts aus. Was kann ich dafür, wenn die Männer faul sind?» So ist sie. Wo es Leben gibt, ist Martha, und wo Martha ist, ist auch Leben.

«Willst Du einen Schnaps, Michi?», fragt sie immer wieder. «Nein danke.» «Einen Whisky?» «Danke, Martha. Aber es ist zehn Uhr morgens.» «Na und? Du lebst ja auch jetzt und nicht nur abends, oder? Einen Kräuterschnaps vielleicht?» «Nein, Martha, wirklich nicht.» «Mein Motto, Michi, ist: Halb besoffen, ist rausgeschmissenes Geld. Dann iss halt Pralinen und Weihnachtskekse.» «Ja, Martha.»

Keine Frage, sie würde es wieder tun. Oder immer noch: Die Prostituierten, Zuhälter und Freier von oben mit einem Schlauch bespritzen, damit sie nicht mehr auf der Mauer des breiten Eingangs der Altersiedlung lümmeln. Und rauchen und trinken und einfach alles liegen lassen. «Eine einzige Schweinerei», sagt Martha. Stand da oben, die Martha, auf der damals noch allgemein zugänglichen Dachterrasse, nahm den Schlauch in die Hand und spritzte den Eingang frei. Mehrmals. Alle kamen, «Blick», «20 Minuten», «Telebasel» und schliesslich auch die Polizei. «Frau Ramseyer. Wenn Sie damit nicht aufhören, müssen wir was tun.» «Mir doch wurst», hat sie gesagt, fröhlich Interviews gegeben und weiter zielsicher die Benutzer der Toleranzzone nass gemacht. «Wenn niemand was tut, tue ich was», sagt sie heute noch. Und: «Ich habe mich gewehrt.»

Martha mag Achtung

«Aber man kann doch nicht einfach Leute mit einem Schlauch abspritzen, Martha. Das leuchtet doch irgendwie ein.» Sie zuckt mit der Schulter. «Ich schon. Ich war Bademeisterin. In Arlesheim. 25 Jahre lang … Und bei Coca- Cola habe ich auch 18 Jahre lang gearbeitet. Und früher hab ich Polizisten im Eglisee schwimmen beigebracht …» «Ich weiss, Martha.» «Ja. Wenn Du meinst. Gut. Also, wenn die nicht dort gestanden hätten, vor meinem Eingang, hätte ich ja nicht spritzen müssen.» «Aber wieso, Martha, so generell?» «Weil ich keine Huren vor meiner Haustüre will und Pack auch nicht.»

Martha steht auf. Will von was anderem erzählen. Sagt, dass sie gelernte Pelznäherin sei, zeigt ihre Pelze, redet von den 80 Puppen, die sie mal hatte und denen sie Kleider genäht hat. Dass sie an der Fasnacht 25 Jahre lang Einzelmaske gewesen sei. Dass sie mit ihrem Mann zehn Jahre im Wohnwagen nahe Bad Bellingen gelebt hat, bevor sie im Wohnwagen nach Zurzach gegangen seien, wo er dann vom Velo … Sagt, dass sie diesen Teppich, «auf dem du deine Füsse hast, Michi», selbst geknüpft hat. Martha hat immer alles auf einmal im Kopf, Vergangenes, längst Vergangenes, alles ist eine Erinnerung, die ins Hier und Jetzt will, alles ist von gleicher Dringlichkeit. Dass sie Porsche gefahren ist. Dass sie ein Testament gemacht hat: «Hat 75 Franken gekostet.» Dass sie ein «Superleben» gehabt hat. Dass sie bei Coca-Cola 75 Franken am Tag verdient hat.

Ob dann was Besonderes vorgefallen sei, dass sie plötzlich den Schlauch genommen habe? «Nein. Ich hatte es einfach satt, dass die Huren mir Arschloch sagen und den Stinkefinger zeigen.» «Und warum haben sie dir Arschloch gesagt, Martha?» «Weil ich, wenn ich nach Hause gekommen bin, immer gesagt habe, sie sollen verschwinden von hier. Ich zahle hier 1600 Franken Miete. Dann haben die mir Arschloch gesagt, Michi. Und das brauche ich nicht. Und ich habe ja noch ein bisschen Stolz im Kreuz. Da habe ich sie vollgespritzt. Tja. Und dann waren sie weg. Da habe ich mir gesagt: Alles richtig gemacht, Martha.»

Ein paar Tage später war ein Schloss an der Tür, die auf die Dachterrasse führt, und Marthas beherzte Spritzattacken für eine hurenfreie Welt vor ihrem Hauseingang vorbei. «Das mit dem Schloss war die Verwaltung. Auch alles Arschlöcher, Michi, ich sags dir gerne nochmals. Bei so was reagieren die. Aber als mein Nachbar dreieinhalb Wochen tot in seiner Wohnung lag, waren die natürlich nirgends. Typisch. Der Schlauch war auch weg. Da hab ich gesagt, der Schlauch sei Privateigentum. Da haben sie ihn wieder hingetan. Vielleicht doch ein Schnäpschen, Michi?»

Martha mag Verse

Zugegeben, das klingt derb; eine 87-Jährige, die «Arschloch» sagt. Und auch wenn es aus dem Mund von Martha kommt, klingt es deswegen nicht schmeichelhafter. Aber das ist Martha. Und die Narrenfreiheit des Alters und eine Portion Altersradikalität. Eine alte Dame, die keine Kompromisse mehr eingehen mag. Deren Hobby stricken und nähen ist, und die, wenn sie schwimmen geht, immer noch mit einem Spiessli ins Wasser taucht. Oder «Startsprung», wie sie sagt. Die auf die Frage, wie es so sei, alt zu sein, antwortet: «Ich muss mir Mühe geben.» Die alle zwei Wochen zum Masseur geht und es geniesst. Auch, weil es die Krankenkasse bezahlt. Die dannzumal kremiert werden möchte. Und vor allem möchte sie keine Abdankung. Die «mit warmen Händen» gibt, denjenigen, die sie liebt, alles. Den andern Saures.

Es ist jetzt elf Uhr vormittags, neun Pralinen und 13 Weinachtskekse später. Auf dem Tisch mit Häkeldecke liegen Fotoalben, Zeitungsausschnitte und zwei Ordner mit Versen. Martha dichtet gerne und trägt dann vor. Rezitiert aus einer Melange zwischen Schnitzelbänken und Gedichten, die Verse haben Titel wie: «Wer älter wird, ist selber schuld.» Und dann: «Michi, nicht doch ein Schnäpschen?» «Ich muss los, Martha, so langsam.» «Ach so. Hab ich dir eigentlich schon meinen Lieblings-Santiglaus-Vers gesagt?»

© Gillerugger 2012