Sujet 2015: Unterfluur Abfallkontainer

Abfall-Pläne lösen Angst und Zorn aus

Keine Kehrichtabfuhr mehr, jeder soll seinen Abfall selber zum Container tragen: Das geplante Entsorgungssystem in Basel sorgt für Unmut – vor allem bei Betagten und Gehbehinderten.

«Regierungsrat hat nicht an die älteren Leute gedacht.» Auf der Erlenmatt existiert eine Entsorgungsanlage mit unterirdischen Containern, wie sie jetzt in der ganzen Stadt vorgesehen sind.

Es dürfte ein paar Jahre her sein, als eine kleine Altersgruppe der Grauen Panther von der Stadtreinigung eingeladen wurde, um die neue Quartier-Abfall-Entsorgungsanlage unter dem Boden bei der Erlenmatt zu begutachten. Es war der Prototyp des unterirdischen Containersystems, das die Regierung flächendeckend über das ganze Stadtgebiet einführen will. Für 26,5 Millionen Franken an rund 650 Stellen.

Von der Stadtreinigung begrüsst wurden die Rentner nach einen Briefwechsel, indem sie ihrer Besorgnis über zentrale Abfallsammelstellen Ausdruck gaben. Ihnen soll damals weisgemacht worden sein, dass der Abfall über unterirdische Kanäle automatisch abgeführt werde. Das muss teuer sein: Ruth Banderet, Mitglied der Grauen Panther, dachte an die Kosten und äusserte verschiedene Bedenken auch in Bezug auf die Sicherheit, «die von den Herren damals schon nicht zerstreut werden konnten», wie sie sagt.


Mit Sack und Krücken

Von automatischer Entsorgung ist heute keine Rede. Die Stadtreinigung würde die Unterflurcontainer nach Bedarf leeren, wenn diese gefüllt sind. Teuer bleibt es dennoch: Im Vergleich zu den errechneten Einsparungen von jährlich einer Million sind die Investitionskosten so hoch, dass die Infrastruktur über knapp 30 Jahre nicht abgeschrieben werden kann.

«Kann ein Kind hineinfallen? Können die Betagten ihre Bebbi-Säcke über die Kante der hohen Abfallkübel heben, die mit den unterirdischen Containern verbunden sind?», fragte sich Ruth ­Banderet bei der Begehung. Damals herrschte schönes Wetter. Und sie war, wie die smarten Herren von der Stadtreinigung, noch gut zu Fuss. Heute geht sie an zwei Krücken und verlässt das Haus bei Schnee und Eis kaum. Wie sie den baumelnden Bebbi-Sagg an Krücken 100 Meter durch die Strasse transportieren kann, vielleicht gleichzeitig einen Regenschirm haltend und dann noch die Abfalltonne aufstossend, ist ihr ein Rätsel.

Versprechen nicht eingehalten

Jürg Hofer, Leiter des Amts für Umwelt und Energie, schreibt heute der BaZ: «Wer in der Lage ist, sich mit Lebensmitteln im Laden zu versorgen, der meistens mehr als 100 Meter entfernt ist, sollte auch in der Lage sein, die daraus resultierenden Abfälle zu entsorgen. Vielleicht kann man sich ja auch unter Nachbarn organisieren.»

«Der hat keine Ahnung vom Leben gehbehinderter Menschen», ärgert sich Valérie Hinners, Mitglied der Grauen Panther, die an der Begehung ebenso dabei war. Wenn Gehbehinderte einkaufen, dann vielleicht ein Brot und eine Packung Butter, die im Rucksack Platz finden. «Auf dem Rücken können Bebbi-Säcke nicht transportiert werden», sagt sie.

Eigentlich glaubte sie wie auch Ruth Banderet, das Problem hätte sich von selbst erledigt, nachdem sie vom Amt über Jahre nichts mehr gehört hatte. Dies, obwohl ihnen schriftlich versichert worden war, «dass man die Erkenntnisse der Benutzerfreundlichkeit aus dem Pilotprojekt auswerten» und ihnen «im Sinn des Dialogs die Ergebnisse zukommen lassen» werde. Das Versprechen wurde nicht eingehalten. Heute sind sie vom Vorgehen der Behörden überrascht und verärgert worden.

Flankierende Massnahmen erwünscht

Von einer generellen Verunsicherung bei den Betagten spricht der Leiter Marketing der Pro Senectute Basel. Bei der Stiftung sind gestern etliche Reaktionen auf das neue Abfallsystem eingegangen. «Da war Angst, aber auch Zorn zu spüren», erklärte Philipp Ryser. Manche seien über die Idee erschrocken, «weil sie nicht wissen, wie sie ihren Abfallsack hundert Meter weit schleppen sollen». Ryser hofft jetzt, dass das Baudepartement Antworten gibt, wie ältere, aber auch gehbehinderte Menschen das neue System bewältigen sollen. Alt Regierungsrat Remo Gysin (SP), Mitglied der Grauen Panther, meint: «Wird das Konzept so ausgeführt, braucht es flankierende Massnahmen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Spitex übernimmt.»

Bei flankierenden Massnahmen denkt der 75-jährige Grossrat Jürg Meyer (SP) an ein Wägelchen, das den Betagten zur Verfügung gestellt werden müsste. Die LDP hält in einer Medienmitteilung lapidar fest: «Offenbar hat der Regierungsrat nicht an die älteren Leute gedacht.» Die Liberalen bemängeln auch, dass rund 20 Stellen für beruflich weniger Qualifizierte wegfallen. «Es dürfte nicht möglich sein, Ersatzstellen für diese Leute, die es dann nicht mehr braucht, finden zu können.»

Eingeführt wurde das System bereits in der Innenstadt von Zürich. Ohne Lärm und ohne Aufhebens. «Die Behinderten schätzen es, weil sie den Abfall jederzeit entsorgen können und ihn nicht lange im Haus aufbewahren müssen», sagt Marc Zumbühl von Pro Infirmis. Er räumt aber ein, dass Selbstbestimmung bei Rollstuhlgängern ein besonders hohes Gut darstelle und die baulichen Hindernisse, wie Türen, Schwellen und Strassenränder für Behinderte die grösseren Probleme sind als eine 100 Meter entfernte Abfall-Entsorgungsstelle. Klagen über die Abfallentsorgung seien ihm keine bekannt, sagt Zumbühl.

Bebbi-Jazz bei Mehrweg tot

Aufgebracht zeigt sich Grossrat Ernst Mutschler (FDP), der als Obmann vom «Em Bebbi sy Jazz» zurückgetreten ist. «Das neue Entsorgungskonzept zu bekämpfen mache ich selbst nach meinem Rücktritt zu meiner Sache», sagte er. Bedroht sieht er den musikalischen Sommergrossanlass aufgrund einer weiteren geplanten Konzeptänderung im Basler Abfall-Entsorgungssystem: An allen öffentlichen Veranstaltungen sollen Esswaren und Getränke nur noch mit dem Mehrwegsystem angeboten werden.

«Wir haben das mit Anbietern von Mehrwegbechern besprochen. Ein solcher Grossanlass kann logistisch nicht bewältigt werden», weiss Mutschler und fügt an, dass die Restaurantbetreiber nicht gewillt seien, einen Solidaritätsbeitrag zum Fest zu leisten, wenn sie auch das Mehrwegsystem zu tragen hätten. «Das ist der Tod für den Bebbi-­Jazz», so Mutschlers Fazit. Bereits habe man ihm gedroht, keine Swisslos-Fonds-Beiträge auszubezahlen, sollte «Em Bebbi sy Jazz» sich dem Konzept widersetzen.


© Gillerugger 2012